Ein Jahr im Krieg und kein Ende in Sicht, eher im Gegenteil. Und wie immer zeigt sich: Es gibt nur Verlierer. Denn auch in Russland hinterlässt der mörderische Angriffskrieg verbrannte Erde. Jahre, möglicherweise Jahrzehnte werden ins Land gehen, bevor europäische und US-amerikanische Unternehmen wieder Vertrauen fassen werden – wenn überhaupt. Von russischer Seite sind hingegen unter anderem Sätze zu hören, die an Durchhalteparolen erinnern und kaum Kritik an der Staatsführung durchscheinen lassen: „Leider müssen wir den europäischen Markt für einige Zeit verlassen.“
Viele, vielleicht sogar die allermeisten westlichen Unternehmen haben sich mittlerweile aus Russland zurückgezogen. Einige früher, andere später, nur wenige bleiben. Eines der jüngeren Beispiele ist Solvay, das den hälftigen Anteil am PVC-Erzeuger RusVinyl an den bisherigen Partner Sibur verkauft. RusVinyl ist neben Sayanskkhimplast und Kaustik einer der drei großen PVC-Erzeuger im Land.
Die russische Industrie hat ihre Handelsverbindungen im vergangenen Jahr umgeschichtet, sowohl beim Im- wie auch im Export: von Europa und Nordamerika in die Türkei, den Iran und vor allem nach China. Statt Siemens-Turbinen sollen in Russland bald iranische laufen. Wenn kein Antiblockiersystem, keine Servolenkung und keine fernbedienten Schlösser für Autotüren zu haben sind, weil die aus dem Ausland kommen, dann wird das Auto eben ohne gebaut – und nur in weiß, schwarz und dunkelgrün lackiert. Fährt trotzdem, ändert aber nichts daran, dass die russische Automobilproduktion innerhalb der ersten drei Quartale 2022 um drei Viertel einbrach.
Trotz allem oft fadenscheinigem Optimismus drückt die Situation auf das Wachstum der Industrie, das Maria Ivanova, Vizepräsidentin des Chemie-Verbandes RUC, gegenüber dem Fernsehsender „RBC“ für 2021 noch mit 6 Prozent beziffert hatte. Danach ging es rapide bergab: Für die ersten neun Monate des Jahres 2022 meldete RBC auf Basis von Zahlen des Statistikamtes „Rosstat“ einen Rückgang der Chemie-Produktion um durchschnittlich 3,2 Prozent. Polymere und Kautschuke waren mit -6,5 und -9 Prozent noch stärker betroffen. Dies berichtet der Branchendienst Kunststoff Information (KI, Bad Homburg) im aktuellen Online-Report.