AVK: Serienfertigung mit Verbundwerkstoffen

13.09.2012

Wirtschaftliche Bedeutung
Aus SMC (Sheet Moulding Compound) und BMC (Bulk Moulding Compound) hergestellte Bauteile gibt es seit 50 Jahren im industriellen Einsatz. Im Jahr 2011 wurden in Europa fast 270 Tausend Tonnen Material produziert. Dieses Segment macht in etwa ein Viertel der gesamten Menge glasfaserverstärkter Kunststoffe aus und ist aus dem Verbundwerkstoff-Markt nicht wegzudenken. Damit übersteigt allein die SMC-/BMC-Produktionsmenge z. B. die derzeitige Herstellung von Bauteilen aus kohlenstofffaserverstärkten Kunststoffen um ca. den Faktor 10.

Technische Grundlagen
SMC/BMC sind Vielstoffverbunde auf Basis Polyesterharz, Glasfasern, mineralischer Füllstoffe und Additiven. Die Rezepturen sind leicht an Kundenwünsche anzupassen, wodurch eine starke Spezialisierung und spezielle Nischenmärkte entstanden sind. Der mineralische Anteil ist oft sehr hoch, inklusive Glasfasern kann der mineralische Anteil bis auf über 80% ansteigen. Dadurch wird eine starke Entkoppelung von rohölabhängigen Rohstoffen erzeugt, man könnte also SMC/BMC auch als polymergebundenes Mineral bezeichnen. BMC sind hochspezialisierte Formmassen für die Spritzgussverarbeitung, SMC wird auf hydraulischen Pressen verarbeitet. Eine Ähnlichkeit mit Blechumformung ist vorhanden, aber mit weitaus höheren Umformgraden.

Die europäische SMC/BMC-Industrie ist ausgesprochen mittelständisch geprägt. Große Global Players sind nicht vorhanden, es handelt sich also um eine ausgesprochen spezialisierungsfreudige und flexible Umgebung. Zu den hervorstechenden Materialeigenschaften zählt eine exzellente werkzeugfallende Maßgenauigkeit. Kein anderes bekanntes Material kommt auch nur in die Nähe der erreichbaren Net-shape Qualität, Wärmeausdehnung wie Stahl, elektrisch isolierend aber auch leitfähige Einstellungen sind möglich. Statische wie auch zyklische Festigkeiten und Schlagzähigkeit lassen sich besonders bei SMC sehr hoch einstellen. In Verbindung mit einem Freibewitterungsverhalten, ähnlich wie auch Granit, ist SMC besonders attraktiv für Anwendungen im öffentlichen Raum. Durch das Polyesterharz und den hohen Mineralstoffanteil ist die Temperaturbeständigkeit sehr hoch, es schmilzt nicht, kann nichtbrennbar eingestellt werden, was es besonders für den Bau und im öffentlichen Transport sehr attraktiv macht. Alles in allem ein ausgesprochenes „Problemlösermaterial“.

Wirtschaftlichkeit
Die weitgehende Entkoppelung vom Rohölpreis und den Preissprüngen global gehandelter Rohstoffe führen zu sehr guter Preisstabilität, die Preiserhöhungen der letzten 10 Jahre waren immer unterhalb der deutschen Inflationsrate. Die Herstellung und Verarbeitung sind nicht sehr kapitalintensiv, wichtigster Kostenblock sind Rohstoffkosten, wobei diese langjährig auf sehr günstigem Niveau sind. Da bei der Verarbeitung Wärme zugeführt werden muss, sind die Taktzeiten im Minutenbereich und nicht im Sekundenbereich, also eine Prozesstechnik für mittlere Serien unterhalb 100.000 Stück/Jahr, in speziellen Fällen sind aber auch sehr hohe Stückzahlen bekannt.


Der ganz große Vorteil ist die exzellente Formbarkeit, SMC/BMC füllen Formen in einem 3D-Fließprozess. Damit lassen sich komplexe Formteile mit höchster, werkzeugfallender Präzision herstellen. Daraus ergibt sich ein interessanter Kostenaspekt: ein Werkzeug – ein Presshub - ein Formteil, es müssen also nicht wie bei der Blechumformung mehrere Umformstufen durchlaufen werden. Der ideale Stückzahlbereich für SMC ist 10.000 bis 80.000 Stück pro Jahr, für BMC gilt eine deutlich höhere Obergrenze.

Anwendungen SMC
Die ersten Anwendungen in Europa waren Kabelverteilerschränke für Niederspannungsverteilung der EVUs. Am Straßenrand, jeglicher Witterung und sonstigen Einflüssen im öffentlichen Raum ausgesetzt, haben heute mehr als 50 Jahre Erfahrung gezeigt: SMC im Außenbereich ist ganz ohne Lackierung extrem beständig, die Oberfläche zeigt Schmutzablagerungen, u. U. Algen und Moosbewuchs, die Schönheit mag leiden, aber die Funktion ist auch nach 50 Jahren noch garantiert. Wer den Verlust an Schönheit nicht tolerieren mag muss Makeup auflegen. Eine einmalige Einschichtlackierung genügt, im Gegensatz zu anderen Makeups, für immer. Die Anwendungen im Elektrobereich waren in Europa die Geburtsstunde für SMC/BMC, damals als Keramikersatz, heute immer noch im Außenbereich und bei Schaltern, immer dann wenn hohe Schaltleistungen gefordert sind.

Im Baubereich ist die Witterungsbeständigkeit ebenfalls ein gutes Argument für den Einsatz von SMC, als Kabelschacht, Schachtabdeckung, z.T. auch als verlorene Schalung mit präziser und glatter Innenseite. Im Kontakt mit Erdreich, Wasser und Nagetieren macht der Werkstoff eine sehr gute Figur, der Metallklau interessiert sich nicht dafür, da Metallpreise höher sind. Im Bahnbereich sind glatte, formschöne, große Teile gefragt, die aber hohen Anforderungen betr. Vandalenbeständigkeit und Flammbeständigkeit erfüllen müssen. Als Kunststoff mit 70 bis 80% Mineralanteil ist es relativ einfach, selbst hohen Flammschutzbestimmungen gerecht zu werden mit hohen Sicherheitsreserven: schmilzt nicht, tropft nicht, keine toxischen Brandgase und brennt nicht; wenn dennoch etwas brennt (in der U-Bahn, im Tunnel) dann lasst dicke SMC -Teile um mich sein!

An LKWs sind Kabinen, Verkleidungsteile und Aeropakete aus SMC nicht mehr wegzudenken. Steinschlag auf Schlechtwegstrecken spielt keine Rolle, hohe Schlagzähigkeit in Verbindung mit inhärenter Korrosionsbeständigkeit sorgen für gutes Aussehen auch bei hoher Laufleistung und überlagerten zyklischen Belastungen insb. in Ländern mit schlechtem oder unbefestigtem Straßenzustand. Landwirtschafts- und Baufahrzeuge sind wie LKWs bei jeder Witterung und auf schlechten Wegen unterwegs, allen diesen Anwendungen ist neben der Witterungsbeständigkeit und mechanischer Belastbarkeit gemeinsam, dass die Teile relativ groß sind. Ein LKW Dach oder die Bodenplatte einer Traktorkabine sind Teile, die mehrere Quadratmeter groß sind und mehr als 60 kg auf die Waage bringen. Kann man solche Teile in einem Werkzeug, in einem Presshub fertigen, dann ist leicht einzusehen, dass bei den typischen Stückzahlen von 5.000 bis 50.000 pro Jahr eine hervorragende Wirtschaftlichkeit gegeben ist. Im Bereich PKW werden spezielle Formmassen für Karosserieteile eingesetzt (im Beispiel ein PKW Heckdeckel), bedingt durch die Nullschwindung und geringe Wärmeausdehnung kann eine Oberflächenqualität wie bei Stahlblech erreicht werden und auch hier gilt: eine Form – ein Presshub – ein Formteil, der spezifische Vorteil für Serien zwischen 5.000 und 80.000 Teile im Jahr. Durch die niedrige Dichte kann gegenüber Stahlblech ca. 25% Gewicht gespart werden, das ist ein mit Aluminium vergleichbarer Wert der Gewichtsreduktion.

Anwendungen BMC
Traditioneller Markt im Elektrobereich für BMC sind Schalterteile für Nieder- und Mittelspannungsgeräte, immer dann, wenn die Anforderungen betr. Schaltleistung und Flammbeständigkeit hoch sind. Für den Automobileinsatz haben sich aber in den letzten Jahren einige ausgesprochen hochspezialisierte BMC-Anwendungen herauskristallisiert. Heute werden mehr als 95% aller Scheinwerferreflektoren aus BMC gefertigt, Werkzeugfallend höchste Oberflächenqualität und geringste Maßabweichungen für extreme optische Güte des Reflektorspiegels. Möglich wird das durch: Nullschwindung, geringer Wärmeausdehnungskoeffizient, hohe Temperaturbeständigkeit (200°C), komplexe Formgebung und geringer Preis auch weil der Mineralanteil über 80% ist. Eine andere Anwendung, die extrem spezialisiert ist, sind Vergasergehäuse. Hier kommt zu den Maßanforderungen (Werkzeugfallend h6) auch noch Medienbelastung durch Kraftstoffe inklusive Biokraftstoffe.

Faserverbundwerkstoffe generell und auch SMC/BMC sind sehr komplexe Vielstoffgemische, die durch die Richtungsabhängigkeit der Faser nicht einfacher werden. Die Konstruktion, der Formenbau und die Verarbeitung solch komplexer Werkstoffe stecken voller Tücken und Fallstricke. Die wenigsten Ingenieure und Entwickler hatten im Rahmen ihrer Berufsausbildung Kontakt und Erfahrungsaustausch mit SMC/BMC, Enttäuschungen können da schnell die Lust am Entwickeln verderben. Die AVK – Industrievereinigung Verstärkte Kunststoffe e.V.   hat deshalb ein SMC/BMC-Seminar zur beruflichen Weiterbildung zusammengestellt, es werden fundierte Lehrinhalte gegeben zu: Materialgrundlagen, Verarbeitungstechnik, Konstruktionsrichtlinien, Formengestaltung und Anwendungen, in Verbindung mit praktischer Demonstration zu SMC/BMC Herstellung und Verarbeitung. Die Trainer sind erfahrene Fachleute aus der Industriepraxis und Mitglied des Arbeitskreises SMC/BMC der AVK – Industrievereinigung Verstärkte Kunststoffe.

© KunststoffWeb GmbH, Bad Homburg

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